Später, es war bereits früher Abend, balancierte Werner Vollmers ungeschickt ein Tablett, auf dem zwei randvoll gefüllte Pappbecher mit heißem Kaffee standen, über den Flur des Präsidiums im Friedhofsweg 30 und fluchte leise vor sich hin.
Ihr neues gemeinsames Büro lag in der zweiten Etage am Ende des Ganges. An sich war es ein sehr schönes Büro. Mit fast 45 Quadratmetern war es fast doppelt so groß wie die der Kollegen. Sie hatten Glück gehabt. Doch leider hatte das Büro einen gravierenden Nachteil. Es lag entschieden zu weit von der Kantine weg. Und somit entschieden zu weit entfernt vom Kaffee. Das glich einer kleinen Katastrophe für Vollmers und Anke Frerichs, die in Bezug auf Kaffee dasselbe Laster teilten. Sie konnten beide nicht genug davon bekommen.
Sie trank ihn schwarz, er mit mindestens drei Stück Zucker. Das eigentliche Problem war, dass seit letztem Jahr keine eigenen Kaffeemaschinen mehr in den Büros erlaubt waren. Angeblich aus feuerpolizeilichen Gründen. Vollmers vermutete eher, dass der Erlass vom Dienststellenleiter aus »umsatztechnischen Gründen« verfasst worden war, nämlich weil der Kantinenbetreiber sich angeblich über die miesen Umsätze bei ihm beschwert hatte. Nun musste man jedes Mal fast eine halbe Weltreise für eine Tasse Kaffee unternehmen, und das schmeckte Vollmers gar nicht.
Als er das Büro betrat, fand er seine Kollegin am Telefon vor. Ihre Blicke trafen sich. Vollmers versuchte gerade, auf einem Bein stehend, mit dem Fuß die Tür hinter sich zu schließen.
»Dr. Braun hat angerufen. Wenn wir Zeit hätten, würde sie nun gerne anfangen«, rief Anke Frerichs ihm entgegen, während sie bereits aufstand, den Telefonhörer auflegte und in der gleichen Bewegung ihre Jacke von der Stuhllehne zerrte. An ihm vorbeieilend, griff sie sich geschickt einen Becher, murmelte ein knappes: »Dankeschön« und verschwand auf dem Flur. Das Tablett geriet komplett aus dem Gleichgewicht.
»Verdammte Scheiße«, fluchte Vollmers, als sich der kochendheiße Inhalt des verbliebenen Bechers auf das Tablett ergoss und ihm die Hand verbrühte. Das war´s dann wohl mit dem Kaffee. Grummelnd stellte er das Tablett neben den verwelkten Kaktus, den er zu seinem dreißigjährigen Dienstjubiläum von seinen Kollegen geschenkt bekommen hatte, und dem Jingle Bells singenden Plüsch-Elch, den er auf der letzten Weihnachtsfeier gewonnen hatte, auf der Fensterbank ab, trocknete sich die Finger mit seinem Stofftaschentuch, steckte es wieder in die Hosentasche und eilte Anke Frerichs hinterher. Bereits im Treppenhaus hatte er sie eingeholt.
»Du oder ich?« fragte sie.
»Wie du willst«, antwortete er, demonstrativ noch immer seine Hand haltend. Er sah sie mit einem gespielt vorwurfsvollen Blick an.
»Okay, okay, ich fahre«, sagte sie.
Zeitgleich traten sie durch die Hintertür des Präsidiums auf den Parkplatz hinter dem Haus hinaus, stiegen in den silbernen Smart von Anke Frerichs und machten sich auf den Weg in die Pappelstraße 4, wo sich seit jeher das Rechtsmedizinische Institut befand und wo sie Dr. Braun, die leitende Rechtsmedizinerin Oldenburgs, bereits erwartete.