Habt ihr schon einmal was von Kapitän Kuper Little gehört? Dem kleinsten Piraten der Welt? Nein? Dann will ich euch heute mal etwas von ihm und seinen Abenteuern erzählen.
Kapitän Kuper Little ist mit Abstand der kleinste Pirat der ganzen weiten Welt. Soviel steht fest. Woher ich das weiß? Na, das ist doch ganz einfach – weil ich ihn gesehen habe. Und weil ich mit ihm gesprochen habe – in meiner Badewanne! Ja, ihr habt richtig gehört. In meiner Badewanne bin ich ihm begegnet. Grade wollte ich mir den Kopf einschäumen und dachte, ich träume, als ich vor mir in der Badewanne ein kleines rotgestreiftes Segel aus den Schaumwolken auftauchen sah. Ich konnte es kaum glauben und wischte mir erst mal den Schaum aus den Augen. Doch da war es wirklich. Ich sah es direkt vor mir.
Winzig klein, aber es war wirklich da. Jetzt könnt ihr auch sicherlich vorstellen, wie verwundert ich war. Ein Schiff in meiner Badewanne? Und dann auch noch ein Piratenschiff? Aber so wahr ich hier sitze, ich schwöre bei meiner Großmutter: Da war wirklich ein Schiff. Es sah aus wie eine Nussschale. Am Bug, das ist bei einem Schiff ganz vorne, stand eine Minikanone. Sie war genau auf mich gerichtet. In der Mitte hatte die Nussschalte einen richtigen Mast, an dem ein rotgestreiftes Segel wehte. Und oben, ganz oben an der Spitze des Mastes wehte sogar eine richtige Piratenflagge in Schwarz, mit einem weißen Totenkopf drauf. Als wenn so ein Schiff in meiner Badewanne nicht schon gruselig genug gewesen wäre, hörte ich auf einmal eine ganz leise Stimme rufen: „Hey, du Riese! Aus dem Weg, sonst setzt es was. Kapitän Kuper Little will hier durch.“
Ich traute meinen Ohren nicht. Jetzt redete die Nussschale sogar mit mir! Das konnte nicht sein. Ich beugte mich ein Stück hinunter, um etwas zu erkennen. Zuerst konnte ich nichts sehen und dachte schon, meine Kinder hätten mir einen Streich gespielt, doch dann trat ein kleines Männchen hinter dem Segel hervor und rief mit drohend erhobenem Zahnstocher, der wohl ein Schwert sein sollte: „Hast du nicht gehört? Du sitzt hier mitten in meinem Meer! Also mach dich von dannen, oder ich schieße! Hier hat Kapitän Kuper Little das Sagen!“
Verdutzt starrte ich ihn an. Er sah aus wie ein richtiger Pirat. Nur eben in ganz klein. Er hatte ein rotes Tuch um den Kopf gewickelt und trug darüber einen dreieckigen Hut. Genau solch einen Hut, wie ihn Piraten eben tragen. Jedenfalls habe ich vorher noch nie einen Piraten ohne Hut gesehen. Zumindest keinen Piraten-Kapitän. Und Kuper Little schien ja ein Kapitän zu sein. Naja, egal, weiter im Text. Er hatte, wie es sich für einen richtigen Piraten gehört, eine schwarze Augenklappe und ein Holzbein. Bei dem Holzbein bin ich mir im Nachhinein aber nicht mehr ganz so sicher. Wenn ich es mir richtig überlege, sah es doch mehr wie ein Streichholz aus. Aber gut. Wie auch immer. Manchmal trügt die Erinnerung.
Kuper hat mir zwar irgendwann einmal erzählt, das Bein wäre ihm von einem riesigen Wal abgebissen und dann verspeist worden, aber man soll Piraten ja sowieso nicht alles glauben. Die lügen ja auch gerne mal. Oder habt ihr schon mal einen so kleinen Wal gesehen? Nein? Ich auch nicht. Aber auf der anderen Seite hatte ich auch bisher noch nie einen echten Piraten in der Badewanne.
Jedenfalls hatte Kuper – ich durfte ihn später, als wir Freunde geworden waren, Kuper nennen – meistens einen dunkelroten Umhang um und trug an dem verbliebenen Fuß einen schwarzen Lederstiefel. Er war meistens schlecht gelaunt oder tat zumindest so. Denn in Wirklichkeit war er ein ziemlich lustiger und fröhlicher Pirat.
Aber das sollte natürlich niemand wissen – wer hätte denn sonst noch vor ihm Angst gehabt? Und ein Pirat, vor dem niemand Angst hat, ist schlecht fürs Geschäft, sagte Kuper immer. Also, nichts verraten!
Aber all das habe ich wie gesagt erst sehr viel später erfahren. Ich schweife ab. Wir waren ja eben noch bei unserer ersten Begegnung. Wo war ich noch gleich? Ach ja, ich wollte euch erzählen, wie Kapitän Kuper Little aussah. Hatte ich das mit seinem Holzbein schon? Ja? Also gut.
Was gab es da noch zu berichten? Hmmm… Die Augenklappe hatte ich auch schon, oder? Den Ohrring? Habe ich den Ohrring schon erwähnt? Nein? Hah, das ist gut. Also, Kuper trug im rechten Ohrläppchen einen riesigen runden Ohrring und hatte einen langen, wuscheligen, roten Bart. Der war aber angeklebt. Ja, ihr habt richtig gehört. Kapitän Kuper Little trug einen angeklebten Bart. Wie zum Fasching. Nur, dass er ihn eigentlich immer trug.
Warum?, werdet ihr jetzt vielleicht fragen. Tja, das weiß ich auch nicht so genau. Das Geheimnis hat mir Kuper nämlich nie verraten. Ich vermute aber, dass er gar nicht so alt war, wie er immer behauptete. Er behauptete nämlich, 102 Jahre alt zu sein, aber das habe ich ihm nie wirklich geglaubt. Ich habe nämlich mal seinen Piratenausweis gefunden, als er später einmal beim mir zum Tee zu Besuch war. Er war ihm aus der Tasche gefallen, als er mal kurz zum Klo musste. Ihr werdet es nicht glauben. Es war ein Piratenschüler-Ausweis. Demnach war Kuper noch gar kein richtiger Pirat. Er war noch in der Ausbildung. Kuper Little, Piraten Grundschule Pirat. Ich habe aber nie was gesagt. Ich habe den Ausweis einfach wieder in seine Umhangtasche gesteckt und nie ein Wort darüber verloren. War wohl auch besser so. Wer weiß, was Kuper mit mir angestellt hätte, wenn ich es ihm verraten hätte. Kinderpirat oder nicht, in manchen Momenten war mit Kuper nicht zu Spaßen. Also habe ich es besser gelassen. Aber zurück zu unserem ersten Treffen. Da saß ich nun, mitten in meiner Badewanne, und zwischen meinen Beinen schwamm ein Piratenschiff, das seine eine Kanone auf mich gerichtet hatte.
Was hättet ihr an meiner Stelle getan? Ich jedenfalls habe mich erst mal ergeben und die Hände in die Höhe gestreckt. Sicher ist sicher. Was? Hab ich da eben was von „Feigling“ gehört? Ich möchte euch mal sehen, wenn jemand in eurer Badewanne mit einer echten Kanone auf euch zielt. Gut. Ich saß also mit erhobenen Händen in meiner Badewanne und starrte auf das kleine Schiff und die Kanonen unter mir und dachte darüber nach, wie ich bloß aus dieser blöden Situation rauskommen könnte, als ich wieder die Stimme höre: „Hey, du Angsthase, was ist nun? Verschwindest du jetzt endlich?“ Gute Idee. Ich sollte einfach verschwinden. Das war eindeutig die beste Lösung. Also stand ich schnell auf und wollte aus der Wanne steigen, als er schrie: „Ey, bist du verrückt geworden? Mach verdammt noch mal nicht solche Wellen!“ Ich erstarrte. Zwischendurch gesagt, entschuldige ich mich vielmals für Kupers „Verdammt noch mal“, ich weiß, dass sich Fluchen nicht gehört, aber für Piraten ist das leider normal. Die fluchen alle Naselang. Den ganzen lieben langen Tag. Das kann ich euch sagen. Und bei Kuper kam sogar die Nacht dazu. Er war ein echter Weltmeister im Fluchen. Mit Urkunde und Zertifikat. Ich habe es selber gesehen.
Er hatte so machen Fluchwettstreit gewonnen. Sowas machen Piraten. Sie treffen sich von Zeit zu Zeit auf irgendwelchen abgelegenen Inseln und fluchen sich gegenseitig was um die Ohren. Solange bis nur noch einer übrig blieb. Der hatte dann gewonnen und war Fluchweltmeister der Piraten. So wie Kuper. Nun gut, da stand ich nun. Mit nacktem Po, tropfend halb in der Wanne, halb außerhalb. Kupers Nussschale schaukelt kreuz und quer durch die Badewanne. Er fluchte nochmal. Dann ein PENG!, und etwas zwickte mich in meinem Po. Kupers Kanone war losgegangen und hatte mich getroffen. Das tat vielleicht weh! Mit einem Satz sprang ich aus der Wanne. So eine Schweinerei. In meiner eigenen Wanne schießt mir ein Mini-Pirat in den Hintern. Das war mehr als peinlich.
Ich war gerade dabei, mir ein Handtuch um die Hüften zu wickeln, als ich plötzlich leise Hilferufe hinter mir hörte. Als ich mich umdrehte, sah ich die umgekippte Nussschale kieloben in der Wanne treiben. Verdammt. Entschuldigung, jetzt hatte ich geflucht. Kupers Boot war durch meinem Sprung aus der Wanne gekentert, und er war über Bord gegangen. Ängstlich versuchte ich ihn zu finden. Ich lauschte. Nichts. Ich wurde nervös. Er wird doch nicht ertrunken sein? Ich beugte meinem Kopf ganz tief übers Wasser und suchte überall nach ihm. Er war nirgends zu finden. Doch dann, ganz links in der Ecke, entdeckte ich ihn. Er hatte sich an ein Stück Seife geklammert. Behutsam griff ich mit zwei Fingern nach seinem Umhang und zog ihn aus dem Wasser. Er war gerettet. Vorsichtig setzte ich ihn auf den Beckenrand. Er schüttelte sich den Schaum aus dem Bart, der jetzt auf der rechten Seite locker herunter hing. Schnell presste er den Bart wieder an seine Backe. Ich tat so, als ob ich nichts gesehen hätte. Verstohlen blickte ich zur Seite und rieb mir dabei nachdenklich meinen schmerzenden Po. Ich war so in Gedanken, dass ich Kuper gar nicht mehr beachtete. Plötzlich zog etwas an meinem Handtuch. „Hey, und was ist mit meinem Boot?“, rief er mit zu. Ich guckte ihn nur fragend an. Dann fiel es mir ein. Das Boot! Ich hatte sein Boot vergessen. Schnell bückte ich mich über den Wannenrand und suchte es. Es war nicht leicht zu finden. So eine Nussschale in einer Badewanne voller Schaum ist wirklich nicht leicht zu finden. Ich suchte weiter. Dann fand ich es.
Vorsichtig griff ich danach, hob es aus dem Wasser und legte es neben Kuper auf den Rand der Badewanne. Es war in einem erbärmlichen Zustand. Der Mast war angebrochen, das Segel zerrissen. Kurz gesagt, es war total hinüber. Damit konnte man nicht mal mehr in einer Tasse Tee herumschippern. Eine schöne Bescherung. Als Kuper sein Schiff sah, blickte er mich nur vorwurfsvoll an. Ich glaube sogar, dass ich eine winzige Träne in seinem einen Auge gesehen habe, aber da ich kann mich auch getäuscht haben, denn Piraten weinen ja bekanntlich nicht. Verdrossen setzte ich mich neben ihn auf den Wannenrand. Was nun? Nun saß ich hier, mit schmerzendem Po und dem kleinsten Piraten der Welt in meinem Badezimmer.
Ich saß ganz schön in der Tinte. Ich musste mir was einfallen lassen. Nur was? Eines stand auf jeden Fall fest. Das Boot musste repariert werden, sonst würde ich Kuper nie wieder los werden. Und in der Zwischenzeit musste ich ein Versteck für ihn und sein Boot finden. Ein schönes Schlamassel, in das ich da geraten war. Ab jetzt wohnte also ein leibhaftiger Pirat unter unserem Dach.
Das nächste Mal werde ich euch erzählen, wie es ist, mit einem Piraten zusammenzuwohnen, wie Kuper zu seinem Holzbein gekommen war, und wie er auf einer einsamen Insel die Mangofanten entdeckte.
Axel Berger (axel-berger.com)