Als der Anruf ein paar Stunden später kam, steckte Werner Vollmers gerade mit beiden Armen, nur mit einem weißen Feinrippunterhemd bekleidet, in seinem Aquarium und riss Pflanzen heraus. Gerade musste wieder eine Egeria densa dran glauben.
Das tat er immer, wenn der Stress zu groß wurde oder er bei einem Fall nicht weiterkam. Dann stürzte er sich auf sein Aquarium und baute es um. Jan Olsen, der Inhaber der Firma Aquadesign in der Stedinger Straße, wo Vollmers immer seinen Aquarienbedarf kaufte, konnte das nur recht sein. Jetzt fiel Vollmers’ Umbauwahn eine Hygrophila corymbosa zum Opfer und flog in hohem Bogen in den weißen Eimer, der vor dem etwa zwei Meter breiten Becken stand und mittlerweile bis zu drei Vierteln mit Wasserpflanzen und Algen gefüllt war.
Die Fische hatten sich scheinbar schon an die regelmäßigen Störungen gewöhnt und sich in eine Ecke des Beckens verzogen. Geduldig warteten sie, bis das Schauspiel vorbei war.
Als Vollmers gerade anfing, ein Steingebilde in der Mitte des Beckens auseinanderzunehmen, kam seine Frau Gabriele mit dem Telefon in der Hand ins Wohnzimmer und blieb im Türrahmen stehen.
»Das Präsidium ist dran«, rief sie und fuchtelte mit dem weißen Mobilteil herum.
Vollmers grummelte. »Du siehst doch, dass ich gerade nicht kann.« Er hantierte, ungehalten über die plötzliche Störung, ungeschickt im Becken herum, und das Steingebilde, das seinen Buntbarschen als Bruthöhle dienen sollte, fiel in sich zusammen.
»Es ist dringend, sagen sie.« Sie hielt ihm den Hörer ans Ohr.
»Vollmers!« rief er ins Telefon. Eine leise Stimme drang undeutlich aus dem Hörer. Er hielt inne und erstarrte förmlich in der Bewegung. Die Steinhöhle fiel gänzlich in sich zusammen. »Was?« stieß er hervor. »Ich komme sofort!«
Gabriele Vollmers nahm ihm den Hörer vom Ohr und reichte ihm sein Handtuch, das er über eine Ecke des Aquariums gehängt hatte und zum Abtrocknen diente. Nachdenklich nahm Vollmers das Handtuch entgegen und trocknete sich die Arme bis zu den Oberarmen und unter den Achseln gründlich ab.
»Ich muss noch einmal los. Der Mörder hat wieder zugeschlagen.«
Gabriele Vollmers sah ihren Mann besorgt an. Sie konnte sich auch nach über dreißig Jahren nicht an diese Art von Anrufen gewöhnen. Angst kroch ihr den Nacken hoch. »Du musst etwas essen«, sagte sie leise.
»Eine Tasse Kaffee und ein Käsebrot werden reichen«, antwortete Vollmers. Er sah ihren besorgten Blick. »Vielleicht noch eine Bockwurst dazu. Danke!« Er küsste seine Frau auf die Wange und verschwand in Richtung Bad.
Als er gerade in die hellgrüne 70er-Jahre-Badewanne stieg, hörte er bereits das Brummen der Senseo. Der Duft nach heißem Kaffee lag in der Luft. Ein Käsebrot und eine Bockwurst sollten für länger das Einzige sein, was er zu essen bekommen würde.