Kapitel 15

  • Der Fallensteller
 - auf OYJO!

Als Vollmers im Friedhofsweg 30 eintraf, waren seine Kollegen ebenfalls bereits da. Anke Frerichs stand mit einer Tasse Kaffee in der Hand vor der Magnettafel, und Enno Melchert saß tief gebeugt vor seinem PC und hackte Daten in den Computer.

Der 32-jährige Enno Melchert war ein echtes Multitalent in solchen Sachen. Recherchieren, Ordnen und das Herstellen von Zusammenhängen waren die Stärke des dunkelblonden Einmeterzweiundneunzig-Schlackses aus Leer.

Er war vor einigen Jahren über Umwege zur Polizei gekommen. Vorher hatte er nach einem in Rekordzeit abgeschlossenen Journalismus-Studium für verschiedene Zeitungen als freiberuflicher Reporter gearbeitet und dort vorrangig über Kriminalfälle berichtet. Doch das hatte ihm irgendwann nicht mehr gereicht. Er wollte nicht nur über Mord und Totschlag schreiben, er wollte selbst mitmischen, etwas beitragen. Die Welt ein kleines bisschen besser und sicherer machen. So hatte er sich dann bei der Polizei beworben und war mit Kusshand genommen worden.

Nach der Ausbildung in der Oldenburger Polizeiakademie in Bloherfelde hatte man ihn dann in das 1. Fachkommissariat für Straftaten gegen Lebens-, Gewalt- und Sexualdelikte, im Präsidium am Friedhofsweg 30, versetzt. Hier war der freundliche und unkomplizierte Hörspielfan sofort gut angekommen. Er liebte es, sich Unbekannten mit dem leicht abgewandelten Standardspruch seiner Lieblings-Detektive, den Drei ???, vorzustellen. 1. Detektiv: Justus Jonas, 2. Detektiv: Peter Shaw, Recherche und Archiv: Enno Melchert.

Melchert, Vollmers und Frerichs hatten in der Vergangenheit schon öfter zusammengearbeitet, und jedes Mal hatten sie den anliegenden Fall zusammen aufklären können. Ennos Kombinationsgabe hatte sie mehr als einmal auf die richtige Spur gebracht, zum Beispiel im Fall eines Prostituiertenmörders, dem Fall eines Serienvergewaltigers, der zehn Studentinnen der Carl-von-Ossietzky-Universität in Wechloy zuerst misshandelt und dann verstümmelt zurückgelassen hatte, oder der Entführung der 16-jährigen Tochter eines Hähnchenzüchters aus Habern II bei Wardenburg.

Er war über die Jahre zu einer verlässlichen Größe im Team geworden. Wie immer saß er nun an seinem Computer, pflegte die digitale Fallakte und versuchte über komplexe Programme und Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu einer Lösung beizutragen. Für Vollmers war dieser neumodische Kram noch immer keine richtige Polizeiarbeit, doch auch er konnte nicht leugnen, dass die neuen EDV-gestützten Ermittlungsmethoden auch ihre Vorteile hatten.

»Hallo zusammen«, begrüßte Vollmers die Kollegen. Anke Frerichs und Enno Melchert nickten stumm.

»Hallo Enno, danke, dass du extra aus dem Urlaub zurückgekommen bist. Hast du schon gehört, was hier los ist?«

»Ja, leider. Ne ganz schöne Scheiße, in der wir da stecken, was?«

»Hat dich Anke schon auf den aktuellen Stand der Dinge gebracht?«

»Ja, grob zumindest. Ich habe schon angefangen, alles in die Kiste zu hacken.« Enno deutete auf den Bildschirm hinter sich.

»Wir haben noch einen«, mischte sich Anke Frerichs ein.

»Ich weiß, erzähl.«

Anke Frerichs setzte gerade zum Sprechen an, da klingelte das Telefon. Vollmers nahm ab, Dr. Braun war am Apparat.

»Warte einen Moment, ich stelle auf Lautsprecher«, sagte er und begann auf dem Telefon herumzudrücken. Ein hohl klingendes Knacken und Geraschel ertönte. Er legte den Hörer vorsichtig vor sich auf den Tisch.

»Kannst du uns hören?« fragte Vollmers in den Raum.

»Ja, es geht«, antwortete Dr. Braun. »Hallo zusammen.«

»Hi Doc«, rief Enno Melchert aus dem Hintergrund.

»Hallo Dr. Braun«, ergänzte Anke Frerichs.

Ohne Umschweife kam Elena Braun zur Sache: »Wie ihr nachlesen konntet, haben wir hier einen weiteren Giftmord nach dem bereits bekannten Muster zu verzeichnen. Das Opfer ist männlich, 35 Jahre alt, er wurde tot in Ohmstede gefunden, keine offensichtlichen Verletzungen bis auf einen kleinen Einstich am kleinen Finger.«

»Nun ist es also klar: Wir haben es mit einem Serientäter zu tun. Soviel ist sicher«, sprach Vollmers aus, was alle dachten.

Zunächst herrschte Schweigen auf beiden Seiten, bis Dr. Braun erneut das Wort ergriff. »Meine Assistentin Dr. Barkemeyer hat sich intensiv mit den gefundenen Substanzen auseinandergesetzt und die Proben analysiert. Sie ist zu einem sehr interessanten Ergebnis gekommen.« Ein Rascheln unterbracht das Gespräch, als Dr. Braun den Hörer an ihre Assistentin weitergab.

»Hallo zusammen«, eröffnete Barkemeyer das Gespräch.

»Hallo Dr. Barkemeyer«, antwortete Anke Frerichs stellvertretend für die drei Ermittler.

»Nach eingehender Analyse und mehrmaliger Überprüfung der bei den Opfern sichergestellten Substanzen kann ich Folgendes feststellen: Wir haben es hier und in den anderen Fällen mit einem einfachen, wenn auch sehr raffiniert hergestellten Gift zu tun, einem sogenannten Pfeilgift.«

Die drei Kommissare am anderen Ende der Leitung lauschten gespannt.

Melchert ergriff das Wort. »Pfeilgift?«

»Als Pfeilgift werden Gifte bezeichnet, die von verschiedenen Völkern zur Jagd auf ihre Pfeilspitzen aufgetragen werden. Viele Gifte sind Lähmungsgifte, die dann später in der Regel ohne gesundheitliche Auswirkungen mit der zubereiteten Nahrung aufgenommen werden können. Einige führen zu Herzstillstand oder inneren Blutungen. Pflanzlich gewonnene Pfeilgifte sind beispielsweise die Curare-Arten aus Rinden und Blättern verschiedener südamerikanischer Lianen, das Antiarin aus dem Upasbaum, Strophanthin aus Strophanthusgewächsen, Protoveratrin und Germerin aus Germer sowie das Aconitin aus dem Eisenhut. In Südafrika werden Pfeilgifte hauptsächlich aus der Fächerlilie gewonnen, die eine Vielzahl von giftigen Substanzen enthält. Tierisch gewonnene Pfeilgifte stammen aus den Hautabsonderungen der Pfeilgiftfrösche, von Schlangen oder verschiedenen Pfeilgiftkäferlarven«, führte Barkemeyer aus, ohne auch nur einmal Luft zu holen.

»Okay, okay, okay. Moment mal, bitte! Sie wollen uns also erzählen, dass hier in Oldenburg Leute mit Gift von irgendwelchen Fröschen oder aus Pflanzen aus Südamerika ermordet werden?«

»Im Prinzip ja, aber das trifft es nicht ganz. Das Faszinierende dabei ist, dass es in allen drei Fällen aus bei uns heimischen Pflanzen hergestellt worden ist«, fügte Barkemeyer hinzu.

»Faszinierend«, flüsterte Melchert und sah seine Kollegen abwechselnd stirnrunzelnd an. »Ist die noch ganz in Ordnung?« Vollmers schüttelte den Kopf und legte den Finger auf die Lippen.

»Was meine Assistentin meint, ist, dass die Herstellungsart beziehungsweise die Herkunft äußerst außergewöhnlich ist«, sagte Dr. Braun. »Wir haben Spuren von Aethusa cynapium, der Hundspetersilie, von Ilex aquifolium und Buxus sempervirens, dem gewöhnlichen Buchsbaum, gefunden. Das sind alles einheimische Pflanzen, aus denen das Gift gewonnen wurde …« Barkemeyer unterbrach sie: »… und dann nach dem Prinzip des Pfeilgiftes eingesetzt wurde. Das heißt, es wurde vom Mörder bewusst auf spitze Gegenstände aufgetragen, die dann die Haut des jeweiligen Opfers verletzt haben. So gelangte das Gift in den Blutkreislauf und hat sie getötet.«

»Ich glaub, ich spinne«, entfuhr es Anke Frerichs.

»Ach ja, was vielleicht noch anzumerken ist: Wir haben diesmal eine Nachricht vom Mörder erhalten. Einen Zettel.«

Diese Info war neu für Vollmers. Anke Frerichs kramte in den Unterlagen nach einer Faxkopie und reichte sie ihm. Schweigend betrachtete er die einzelne Zeile.

N5308312E00812507 und du bist tot!

Dann sagte er: »Ich würde es eher als eine Aufforderung zum Spielen betrachten. Danke, Elena. Gute Nacht.« Geistesabwesend legte er den Hörer auf die Gabel und beendete das Gespräch mit der Rechtsmedizinerin und ihrer Assistentin.

Was folgte, war eine weitere Nacht ohne Schlaf für die drei Ermittler.

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