Enno Melchert steuerte seinen dunkelbraunen VW Scirocco vorsichtig aus der Ausfahrt der Polizeischule auf die Bloherfelder Straße in Richtung Präsidium zurück. Der Besuch hatte sich mehr als gelohnt. Er hatte nicht nur seine Theorie als möglich erhärtet, er hatte auch noch wichtige Hinweise und Tipps von seinem alten Kumpel Bert erhalten. Und mehr noch. Sie hatten umgehend so etwas Ähnliches wie einen Plan ausgeheckt. Neuhaus war Feuer und Flamme, hatte ihm sofort seine volle Unterstützung zugesagt und sich sogleich an die Arbeit gemacht.
Umständlich nestelte Enno an seiner Jackentasche herum und versuchte sein iPhone herauszuziehen, was ihm nicht sonderlich gut gelang. Auf Höhe der OLB-Filiale geriet er schlenkernd auf die rechte Spur der doppelspurigen Straße und drängte dabei fast einen blauen Škoda-Kombi mit einem Aufkleber, auf dem »Blaue Sau« stand, auf die Gegenfahrbahn. Unter wildem Hupen und Gestikulieren machte ihm der Fahrer unmissverständlich klar, was er von Ennos Fahrkünsten hielt.
Endlich hatte er das Handy aus seiner Tasche geholt und lenkte den Wagen wieder auf die rechte Spur. Mit dem Daumen entriegelte er das gesperrte Display und wählte aus dem Telefonbuch Vollmers’ Nummer. Nach nur zwei Mal klingeln nahm der ab. Enno regelte die Musik runter, A Forest von The Cure erstarb abrupt. Er kam ohne Umschweife zur Sache.
»Wir haben eine echt heiße Spur.«
»Erzähl!« sagte Vollmers knapp. Er schaltete auf Mithören, so dass auch Anke Frerichs alle News aus erster Hand hören konnte.
»Okay. Also, auf www.geocaching.com und www.geocaching.de haben wir ihn lokalisiert. Unter dem Nickname ›Trapper Jack‹ finden sich insgesamt sieben Caches für den Raum Oldenburg und umzu. Davon waren drei die, wo wir unsere Opfer gefunden haben: Kleiner Bornhorster See, Museum und in Nadorst am sogenannten Mount Ohmstede.«
»Der Name ist Programm. Ein Witzbold ist der also auch noch, oder was?« mischte sich Anke Frerichs aufgebracht ein.
Mit einem Brummen und einer Handbewegung brachte Vollmers sie zum Schweigen. Aufgebracht drehte sie sich vom Telefon weg und trat wütend gegen einen Rollcontainer. »Erzähl weiter«, sagte er.
»Bert hat sich sofort dran gemacht, alle gängigen Betreiber von Geocaching-Plattformen zu kontaktieren. Wir brauchen alle Daten, die wir über ihn bekommen können. Namen, obwohl er sicherlich nicht seinen richtigen hinterlegt hat, E-Mailadresse, Kontaktdaten, und so weiter – und, wenn wir etwas Glück haben und die Plattformbetreiber kooperieren, seine IP-Adresse. Damit könnten wir ihn vielleicht lokalisieren oder zumindest die Suche eingrenzen.«
»Das hört sich doch schon mal ganz gut an«, antwortete Vollmers. »Oder?«
»Unser Problem ist nur, dass zurzeit noch mindestens vier weitere ›Schätze‹ in Oldenburg und umzu versteckt liegen, die aus dem Profil unseres Killers stammen. Wir müssen sofort handeln! Vielleicht tappt gerade jetzt jemand in die nächste Falle.«
»Verdammte Scheiße, du hast recht! Was machen wir? Kannst du uns die Orte rübergeben? Wo müssen wir hin?«
»Bert hat euch eine genaue Beschreibung der einzelnen Orte und die Anleitung, wie die Caches zu finden sind, rüber gemailt. Ich selbst bin schon unterwegs zur Lamberti-Kirche. Da soll irgendwo auch einer liegen.«
»Wo sind die anderen versteckt?« fragte Vollmers.
»Die anderen Orte sind: das OLantis, auf dem Cäcilienplatz und in der Paul-Tantzen-Straße auf dem Sportplatz vom SV Ofenerdiek, schräg gegenüber der Raiffeisenbank, an der Kreuzung Ofenerdieker Straße«, sagte Enno Melchert.
Durch das Telefon konnte Vollmers hören, wie Melchert seinen 200 PS starken Scirocco quälte und die Gänge fast voll ausfuhr. Mehrfach musste er überholen und entging zweimal nur knapp einem Zusammenstoß. Zum Glück herrschte keine Rushhour mehr, und die Straßen Richtung Innenstadt waren nicht mehr so voll wie noch vor wenigen Stunden.
»Ich kümmere mich von hier aus erst mal darum, dass das OLantis sofort geschlossen wird. Je weniger Leute sich dort aufhalten, desto geringer die Chance, dass sich ein Schatzsucher unter ihnen befindet«, rief Vollmers ins Telefon und legte auf.
Er wandte sich zu Anke Frerichs um. »Du machst dich sofort auf den Weg zum Cäcilienplatz. Sei aber bitte vorsichtig und warte auf Verstärkung. Nicht dass das Schwein uns dort eine Falle stellt.« Doch sie hörte ihn gar nicht mehr, sie hatte sich bereits ihre Jacke geschnappt und war schon auf dem Weg zur Tür.