Kapitel 37

  • Der Fallensteller
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In halsbrecherischem Tempo bogen sie rechts ab auf das von alten Bäumen bewachsene, parkähnliche Gelände der KarlJaspersKlinik. Das große weiße Schild mit dem Blatt und einem K im Logo, auf dem Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie stand, empfing sie.

Nach etwa hundert Metern passierten sie die Gedenkstätte Alte Pathologie. Das rote Backsteinbauwerk mit dem kreuzförmigen Grundriss wurde 1890 errichtet und diente zunächst als Leichenhalle. Ab 1934 wurde es als Pathologie genutzt.

Vollmers hatte die Gedenkstätte anlässlich ihrer Eröffnung im Jahre 2004 besucht und war entsetzt gewesen, was er dort auf einer der vielen Informationstafeln über deren Geschichte gelesen hatte: In der damaligen Medizin galten psychische Erkrankungen grundsätzlich als erblich. Die Patienten wurden zu »Minderwertigen« gestempelt und viele von ihnen zwangssterilisiert. Am unteren Ende der psychiatrischen Werteskala standen die unheilbaren Pflegefälle, die als »Ballastexistenzen« eingestuft und getötet wurden. Auch in der Heil- und Pflegeanstalt zeigte dieses Denken seine Wirkung. Ab 1936 wurde die Verpflegung der Anstaltspatienten immer weiter reduziert. In der Folge starben bis 1947 mehr als 1.500 Patienten an Unterernährung, Vernachlässigung und fehlender medizinischer Versorgung. Der Krankenmord war in der Anstalt zur alltäglichen Praxis geworden. Die Alte Pathologie ist der historische Ort, der die Medizinverbrechen in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen wie in einem Brennglas sichtbar macht. Denn hier wurden alle getöteten Patienten »durchgeschleust«, sei es zur Aufbahrung oder zur Sektion, bevor sie auf dem nahe gelegenen Anstaltsfriedhof begraben wurden.[1]

Vollmers fröstelte bei dem Gedanken an die vielen unschuldigen Opfer.

Mit blockierenden Rädern kamen sie vor dem Hermann-Hesse-Haus zum Stehen, sprangen aus dem Wagen und rannten ohne Zeit zu verlieren zum Eingang des Gebäudes. Anke Frerichs und Enno Melchert überholten auf dem Weg zur Tür sogar die durchtrainierten Spezialisten des Sondereinsatzkommandos.

Werner Vollmers schleppte sich schnaufend das sterile, schmucklose Treppenhaus hinauf. Er hatte bereits im Eingangsbereich des Gebäudes den Anschluss verloren. Die tägliche Packung Boston forderte ihren Tribut. Anke Frerichs, Enno Melchert und zwei weitere Kollegen waren schon kurz nach der Ankunft an ihm vorbei- und vorausgeeilt. Zwei weitere Kollegen sicherten das Gelände.

Keuchend kam er in der zweiten Etage an und blickte schwer atmend, vornüber gebeugt, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, um die Ecke. Er konnte seine beiden Kollegen sehen, die mit gezückten Waffen auf die letzte Tür im Gang zuliefen und im Begriff waren, gradewegs in das Zimmer Nr. 12 von Thorsten Harders einzudringen. Das Jagdfieber hatte sie gepackt. Ein unter Umständen lebensgefährliches Fieber. Enno Melchert hatte bereits die Hand an der Klinke.

»Nicht öffnen«, rief Vollmers völlig außer Atem noch, doch viel zu leise. Melchert konnte ihn nicht hören. Er stieß die Tür auf und stürzte ins Zimmer. Anke Frerichs folgte ihm.

Dann brach das Chaos über sie herein. Schmerzensschreie tönten durch den Flur. Leiber stürzten übereinander. Kurz danach wurden Rufe nach einem Arzt laut. Als Vollmers endlich die Tür erreichte, sah er Anke Frerichs und Enno Melchert blutüberströmt nebeneinander auf dem Boden liegen. Sie atmeten kaum noch … Vollmers blickte sich suchend im Zimmer um. Nichts. Von Thorsten Harders fehlte jede Spur.


[1] www.gedenkkreis.de/gedankstaette

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