Mit neun Jahren hatte er zum ersten Mal getötet. Seine kleine Schwester.
Er hatte sich weder schuldig noch erleichtert gefühlt. Es hatte es sorgfältig geplant, angefangen und zu Ende gebracht. Seine Familie und die Polizei hielten es für einen tragischen Unfall. Er hatte sie in dem Glauben gelassen. Niemand war auch nur ansatzweise auf die Idee gekommen, dass es ein eiskalt geplanter Mord gewesen war.
Ein unscheinbarer Beerenkuchen war zur Tatwaffe geworden. Die Beeren der Ilex aquifolium L., auch Stechpalme oder Walddistel genannt, gemischt mit einer Beerenmischung aus dem Supermarkt, hatten ihrem nach einer Sommergrippe geschwächten Körper den Rest gegeben. Achtzehn der kleinen roten Beeren hatten genügt.
Mit einem Lächeln hatte er ihr die selbstgebackene Torte ans Bett gebracht und sich neben sie auf den kleinen roten Kinderstuhl, der früher einmal ihm gehört hatte, gesetzt. Nadine liebte jede Art von Torte, Kuchen oder Gebäck. Nach der entbehrungsvollen Zeit während der Grippe hatte sie sich gierig auf das Geschenk gestürzt, es fast auf der Stelle komplett verputzt und war dann glücklich und zufrieden eingeschlafen. Für immer. Während sie einschlief und der gute alte Lurchi von einem mit Filzstiften bekritzelten Poster auf sie herab grinste, hatte er bei ihr gesessen und ihre Hand gehalten, den Blick starr auf ihren sich immer langsamer hebenden und senkenden Brustkorb gerichtet.
Als sie sich nach einem letzten, kurzen Krampf schließlich nicht mehr bewegt hatte, hatte er sie ordentlich zugedeckt, das Geschirr zusammengeräumt, war die Treppe aus dem ersten Stock hinab gestiegen und hatte es in der Küche in den Geschirrspüler gestellt. Danach war er in sein Zimmer im Keller gegangen, hatte sich aufrecht auf die Bettkante gesetzt, die Hände auf beide Oberschenkel gelegt und hatte gewartet.
Er musste nicht allzu lange warten. Knapp eine Stunde später gellte der schrille Schrei seiner Mutter durchs Haus. Ein leises Lächeln wanderte über seine Lippen.